Portugal liegt um die Ecke

Neujahr erkunden wir die Stadt Salamanca bei Wind und etwas kühleren Temperaturen. Wir suchen ein wenig die Wärme. Aber die bleibt noch im Verborgenen. Wir bezeichnen dieses Wetter oft als froschig. Und das passt richtig gut zu diesem Ort. Ein Wahrzeichen der Stadt ist der Frosch – einst mahnendes Symbol der Professoren für eine lasterhafte Studentenschaft. Naja, Symbole hin oder her, hier wimmelt es nur so davon. Viel Geschichte, Architektur und Vermischung verschiedenster Kulturen, ein offensichtlich großzügiger Umgang mit unterschiedlichen Gesinnungen. Das passt doch gut zu einer Universitäts-Stadt – weltoffen zu sein.



Die Stadt liegt im Schlaf? Nein, alle Nippesläden sind geöffnet und ganz klar, die kleinen hübschen Bars und Cafés ebenso. Der Cortado schmeckt wie überall in Spanien einfach zu gut. Touristen gibt es jede Menge – auch heute, am ersten Tag des Jahres.

Wir erobern noch kurzerhand den neu angelegten, archäologischen Park und versorgen uns hier mit sattem Grün. Das Unkraut wächst hier prächtig, die Kulturpflanzen hingegen willenlos. Das kann ich nur zu gut verstehen, denn an so besondere Orte gehören besondere Anreize, Ideen und in diesem Falle Pflanzen. Dem nachhaltigen Mainstream entsprechen in Spanien selten Parks und Grünanlagen. Es erschüttert mich ein wenig, M. ermuntert mich zu handeln. Wir haben gute Ansätze, die wir gern teilen bzw. mitteilen möchten.

Es kostet mich einiges an Zeit, die heimische Vegetation etwas intensiver zu erkunden und die heutige Überlagerung durch die immens vielen, eingeführten Pflanzen zu verstehen. Denn auf der Iberischen Halbinsel kann man die heimische Pflanzenvielfalt suchen. Fast alles ist von fremdländischen Gewächsen vereinnahmt. Wir untersuchen überall, wo wir sind, die Vegetation, schauen auch etwas genauer hin, bis ich sicher bin, um welche Pflanzen es sich handelt. Ich möchte einfach verstehen, was hier passiert ist.
Und so werden wir auch immer wieder fündig. Die Faszination des Menschen für Unbekanntes scheint uralt und das Interesse daran ungebrochen. So landen immer wieder neue Arten aus fremden Ländern in unseren Gärten und später auch in die Natur. Diese scheinbar heimischen Arten sind oft aus fernen Ländern von Pflanzenjägern mitgebrachte Errungenschaften. Es ist auch kaum verwunderlich, dass wir seit Jahrhunderten und überall auf der Welt die heimische Flora und Fauna so sehr in die Knie gezwungen haben. Dabei hat jede Pflanze eine hochsensible Amplitude von Mitbewohnern und Symbionten. Das bedeutet, dass von einer Pflanze einfach viele, viele natürliche Prozesse abhängen – eingebettet in das jeweils vorhandene Biotop. Das ist die eigentliche Ursache unseres derzeitigen Artenverlustes.

Ein Besuch in einem heutigen Pflanzenmarkt zeigt die Schieflage: heimische Pflanzen wird man weder in Deutschland noch irgendwo im Hypermercado finden. Dabei ist es momentan unsere dringlichste Aufgabe, in jedem Garten wenigstens ein Drittel heimischer Pflanzen zu etablieren oder zu erhalten. Wir benötigen aus meiner Sicht keine klimaangepassten Pflanzen. Stattdessen müssen wir unsere heimische Flora zurückgewinnen und erhalten, da Tierwelt und Ökosystem sich über Jahrmillionen miteinander entwickelt haben. Das bedingt eine große Abhängigkeit voneinander. Das Artensterben wird durch die Auslöschung vieler Pflanzen und der damit einhergehenden Artenarmut forciert.

Einen wichtigen Beitrag, um hier aufzuklären und Angebote zu schaffen, bietet gegenwärtig die TausdenGärtenTausendArten, kurz TGTA (https://www.tausende-gaerten.de). Da ich überzeugt davon bin, dass nur im eigenen Handeln Veränderungen möglich werden, mögen diese Gedanken hier erlaubt sein.

Mit einer gut gefüllten Tasche voller Essen verlassen wir etwas durchgeschüttelt vom Wind die goldene Stadt in Spanien. Hier gibt es viel mehr zu entdecken: den schwarzen Teufel, der immer noch in seiner Gruft lebt, das Muschelhaus, die Krypta, der Frosch und die typische Lebendigkeit der Stadt. Die vielen Kirchen sind selbstredend, davon gibt es überall eine Menge und auch viel zu viel. Doch weder die schwarze Gruft des Teufels noch der lasterhafte Frosch laufen uns über den Weg. Aber der sakrale Reichtum, der wirft wieder viele Fragen auf.

Mit dem Wind zur Seite fahren wir gefühlt durch die Prärie – entzerrte Landschaft, kleine, baufällige Häuser, saloonartige Dörfer, viele Tankstellen – wir reiten gefühlt daran vorbei. Anstatt der Saloone im Cowboyfilm stehen hier die Tankstellen – wir reiten zum letzten Tankstopp vor der portugiesischen Grenze ein, statt eines Whiskys Cortado und anstelle des Pferdes, ein Bulli. Manchmal entstehen so versinnbildlicht parallele Welten.

Gegen Abend erreichen wir ganz unspektakulär das gelobte Land. Von einer portugiesischen Grenze kann man nicht sprechen, denn die Landschaft kennt keine Grenzen. Die kleinen Landesstraßen wiederum haben längst die Grenzen vergessen. Und so sind wir plötzlich da. Angekommen, Ziel erreicht. Zumindest halbwegs und landesbezogen. Wir freuen uns, den langen Weg ohne weitere Komplikationen gut gemeistert zu haben. Spanien und Portugal sind hier so herrlich grün. Auch das bereitet uns große Freude. Eine Wohltat für unsere Augen. Die Olivenhaine ziehen sich landeinwärts, bergauf und bergab, nur unterbrochen von Steinen, Korkeichen, Hecken, mit Kühen und Schafen ausgestattet – ähnlich der klein strukturierten, irischen Landschaft. In Portugal beginnt zum windigen Wetter auch wieder Regen (das passt auch wunderbar zu Irland), typisches Winterwetter in dieser Region. Ein Schäfer treibt seine Milchschafe nach Hause. Endlich sieht man sie auf der Straße, denn Käse gibt es davon in Hülle, Fülle und leckersten Variationen. Schafe jedoch sieht man recht selten, Milchschafe noch weniger.

An einem Stausee finden wir einen gut geschützten Schlafplatz, hier lassen wir uns für eine Nacht nieder und genießen die absolute Ruhe im Freien. Wir sind irgendwo im Nirgendwo – in der Nähe von Sabugal. In Portugal gibt es eine Menge angestauter Seen, die für die Wasserverfügbarkeit des Landes von Bedeutung sind. Und auch Thermalquellen hat das Land einige anzubieten. Das wäre bei dem Wetter eine prima Sache, aber im Winter wiederum keine Option. Geschlossen. So schlafe ich ganz sanft durch das gleichmäßige Geräusch des Regens ein – Chopin. Regentropfen-Prélude.

Am frühen Morgen sind unsere Fenster vereist. Wer hätte das gedacht, der Himmel sternenklar und kalt. Nach einer verregneten Nacht schiebt sich die Sonne am Morgen ganz sanft über den See. Portugal bedeutet für mich Sonne, aber Kälte, Schnee und Eis? Also beschließe ich, den Weg durch die Berge zu nehmen. Schnee voraus. Sierra de Estrela. Mit einer Höhe von bis zu 1993 m ist es das höchste Gebirge auf dem Festland und tatsächlich das Skigebiet Portugals.

Drei schöne Orte stehen auf dem Plan, genannt Navi. Dazu braucht es immer ein wenig Vorbereitung. Während der Tee kocht, M. neues Wasser tankt, die Wollis (die zwei blinden Passagiere werden später vorgestellt) Eis aus den Haaren kratzen, lege ich die Route fest. Und: voilá, eine traumhafte Tour durch die Landschaft ist ausgetüftelt: Sorthella, Belmonte, Torre (Bergspitze). So ist die Theorie. In der Praxis erreicht man ca. 60% der ausgewählten Ziele durch plötzliche Routenänderungen, Wegesperrungen oder andere Umständen.


Wir sind so überwältigt von der Landschaft, dass diese Eindrücke erst einmal von uns verarbeitet werden müssen. Neben all den faszinierenden Panoramen, der einzigartigen Landschaft, den Steinformationen, dem allgegenwärtigen Wasser und dem Griff in die Wolken müssen wir sehr behutsam mit dem Bulli die Bergstraßen entlang hangeln und die kontrastreichen Serpentinen erobern.

Auch Belmonte lohnt einen Abstecher. Ein jüdischer Pilgerort? Sieht so aus. Auf jeden Fall gibt es in diesem kleinen Ort eine Synagoge und viele jüdische Touristen. Sehr spannend. Immer noch ist Mensch mit religiösen Themen beschäftigt. Wenn man allein die Stadt Salamanca mit ihren unendlich vielen Sakralbauten genauer betrachtet, glaubt man kaum noch an Religion. Dafür umso mehr an Macht und Aufteilung der Welt. Selbst in einem kleinen, portugiesischen Ort, wo es auch etliche Auseinandersetzungen gegeben haben muss, bleiben die Religionen in der Geschichte der Menschen hängen bzw. die Menschen in der Geschichte. Ach Mensch!
Mir fällt immer wieder der Turmbau zu Babel ein. Eine Geschichte, die ich als Kind sehr oft gelesen habe. Trotz der gegenläufigen Entwicklung, wir Menschen gehen ja momentan einen rasanten Weg der Globalisierung, entfernen wir uns immer mehr von unserem Ursprung. von dem, was uns erschaffen hat. Wir sprechen möglicherweise bald alle eine Sprache, aber das Wichtigste, die Sprache unseres Ursprungs, des Lebendigen, des Miteinanders und des Verstehens, die verlernen wir in gleicher Geschwindigkeit. Hier in Portugal wird uns bewusst, wie ursprünglich und wunderschön die Welt noch ist.

Die Pflanzenwelt in den Bergen ist faszinierend, zum Teil auch ganz schlicht. Langsam bewegen wir uns die fast 2000m hoch. Wir laufen, wo es möglich ist. Dabei ist es hier oben kalt, windig und voller Menschen. Viele Portugiesen, ein paar Schweizer und ein paar Touris aus aller Herren Länder sind mit uns unterwegs – bergauf, bergab oder auch bergwärts lang. Am Ende müssen alle wieder hinunter.

Skilifte und Schneepisten ohne Schnee. Die Schneekanonen wurden just gestartet. Schnee in Portugal – das stand so gar nicht auf meiner Liste. Also fahren wir runter ins Land der Küste entgegen – die Bremsen testend, den Motor quälend, aber sicher die Serpentinen hinunter.

Zum Abend landen wir mehr zufällig als gewollt in Avó. Das eigentliche Etappenziel war Monsanto. Das habe ich bei all der Schönheit in der Sierra Estrala verloren. Hungrig wird die Bordküche eröffnet und ein leckeres Mahl zubereitet.

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